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Pressemitteilung: Menschen mit Behinderungen erfahren in der Pandemie Einsamkeit und Benachteiligung!

Zahl der Hilfsgesuche an ABiD nehmen zu: Es braucht auch politische Interventionen!

Die Lage von Menschen mit Behinderungen in Deutschland hat sich in der CoronaPandemie
erheblich verschlechtert. Diese Ansicht vertritt der Allgemeine Behindertenverband in
Deutschland (ABiD) e.V. und weist aktuell darauf hin, dass es nicht genügt, Personen mit
Handicap nun allein deshalb in den Fokus zu rücken, weil das Bundesverfassungsgerichts in
der Frage der Triage die Rechte der Behinderten gestärkt hat: Zwar hat diese Entscheidung
aus Karlsruhe Signalwirkung, weil sie die Ansprüche von Behinderten während und
außerhalb der Epidemie unterstreicht und die oftmals noch immer wenig präsenten
Vorgaben der Internationalen Behindertenrechtskonvention nochmals in die Aufmerksamkeit
von Politik und Gesellschaft rückt“, erklärt Klaus Heidrich aus dem Vorstand des ABiD, und
ergänzt: Wir unterstützen deshalb ausdrücklich den Vorstoß von SoVDPräsident Adolf
Bauer, der Maßnahmen gegen die Einsamkeit fordert“. Denn oftmals fristeten Behinderte in
der momentanen Situation ein sehr zurückgezogenes Dasein, wenn sie in Werkstätten nicht
arbeiten können oder von ihren Arbeitsplätzen verbannt sind und daneben die
Tagesstruktur fehlt, wenn sie beispielsweise in betreuten Wohngruppen nur sehr
eingeschränkt Besuch empfangen können. Nicht selten sind Behinderte durch die Isolation
besonders von möglichen Folgen der Abschottung betroffen, weil ihnen ihre angestammten
sozialen Kontakte im geschützten Raum ausbleiben oder ihnen zuhause die Decke auf den
Kopf zu fallen scheint“, sagt Heidrich, der deshalb fordert: Wir brauchen dringend eine
verstärkte sozialpädagogische und psychologische Betreuung, die niederschwellig und
aufsuchend ist und den Behinderten in der Bewältigung der Zurückgezogenheit und des
veränderten Alltagslebens hilft. Denn nicht zuletzt sind sie aufgrund ihres Handicaps ganz
besonders auf Halt und Rhythmus angewiesen. Solch eine Notlage wie im Augenblick schafft
für sie Unsicherheit und Angst und wirft sie vollständig aus ihrem vertrauten Ablauf
heraus“.


Der Sozialberater des ABiD e.V., Dennis Riehle, bestätigt diese Befürchtung: Wir verzeichnen
in der Covid19Krise einen massiven Zulauf zu unserem Beratungsangebot. Es geht dabei
einerseits um durchtragende Hilfe in den individuellen Problemsituationen, aber auch um die
konkrete Unterstützung beim Beantragen von Leistungen, die momentan mehr denn je
abgerufen werden. Wir wollen mit der MailBeratung eine gewisse Ermutigung schenken und
praktische Tipps geben, wie sich der Alltag auch in solchen Ausnahmelagen so gestalten lässt,
dass er ein Anker für die Menschen ist. Behinderte reagieren auf die schnell wechselnden
Umstände und Regelungen der CoronaPolitik mit besonders viel Furcht, Sorge und nicht
zuletzt sogar Verzweiflung. Denn durch ihr Handicap wissen sie bereits um manch scheinbare
Ausweglosigkeit und sind deshalb bei jeder Instabilität gefährdet, mit seelischen Reaktionen
die Unruhe zu kompensieren. Hier ist es enorm wichtig, ihnen eine konkrete Orientierung
und Wegweisung zu geben, damit sie wieder eine Perspektive entwickeln und durch Tipps
und Ratschläge gegebenenfalls ihre Anpassungsfähigkeit modifizieren“, so Riehle. Er weist
aber auch darauf hin, dass die Politik nicht aus ihrer Verantwortung gelassen werden darf:
Schlussendlich benötigen wir einen massiven Ausbau der psychosozialen Betreuung,
bürgernah und barrierefrei, wohnortnah und unkompliziert.
Das ist das Gebot der Stunde“.
Auch müsse darüber gesprochen werden, wie man das Alleinsein vieler Menschen beenden
und zumindest durch digitale Angebote, eine Förderung der telefonischen und elektronischen
Seelsorge sowie möglicherweise auch durch die Einsetzung von Beauftragten,
die sich explizit – wie in anderen Ländern bereit geschehen – um die Fürsorge von
Benachteiligten kümmern, abmildern kann. Koordinierungsstellen, die den Aufbau einer
flächendeckenden Versorgung mit Anlaufstellen für das Auffangen von Menschen mit nicht
krankheitsrelevanten, aber doch belastenden psychischen Leiden organisieren, sind nötig:
„Wir wissen um die vernachlässigte Bedarfsplanung in der Genehmigung von
Psychotherapie-Plätzen. Wir brauchen nun aber auch kurzfristige Lösungen, wie gerade
Behinderte in ihrem von Zerrüttung bedrohten Alltag stabilisiert werden können. Wir bieten
uns der Politik gerne an, hier gemeinsame Konzepte zu entwickeln und unsere Expertise
einzubringen“, erklärt der 36-Jährige, der selbst von mehreren Handicaps betroffen, aber
dennoch zum Psychosozialen Berater ausgebildet ist.

„Gleichzeitig müssen wir die Lage als Anlass nehmen, darüber zu sprechen, gerade
psychische Gebrechen stärker in die Bewertung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze
einzubeziehen und damit zu ermöglichen, dass Betroffene mit seelischen Erkrankungen
leichter eine Schwerbehinderteneigenschaft erlangen und damit Nachteilsausgleiche
erhalten können“, sagen Riehle und Heidrich übereinstimmend. Und nicht zuletzt will der
ABiD erreichen, wonach gerade Menschen mit Beeinträchtigungen, die oftmals aus diesem
Grunde heraus in einer sehr prekären Soziallage sind, einen deutlichen Zuschuss für die
angestiegenen Kosten erhalten und direkt ausbezahlt bekommen, die von der Pandemie
mitverursacht wurden. „Dabei geht es nicht nur um Nebenkosten in der Wohnung, sondern
auch um genügend finanzielle Mittel zur Anschaffung von Masken, Desinfektionsmitteln und
Schnelltests“, erläutert Riehle, der darauf aufmerksam macht, dass Behinderte schon allein
wegen ihrer körperlichen, geistigen oder psychischen Einschränkung prädestiniert sind, in die
Unterschicht zu gehören und von dort auch nicht mehr entfliehen zu können: „Diese
Zementierung müssen wir aufbrechen, indem wir auch Menschen mit Handicap
Aufstiegschancen durch Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt ermöglichen und ihre
Verdienstmöglichkeiten im geschützten oder freiwirtschaftlichen Job deutlich erhöhen und
die Abhängigkeit von ausschließlichen Leistungen des Staates hin zu Eigenverantwortung und
Selbstversorgung stärken und fördern – beispielsweise durch eine Reform des ‚Persönlichen
Budgets‘“.

Zudem appelliert Heidrich, dass Menschen mit Behinderungen vorrangig Zugang zu den
Impfungen und den alsbald erscheinenden Medikamenten gegen SARS-CoV-2 erhalten
sollen. „Letztendlich hat die Politik von den Verfassungsrichtern einen klaren Fingerzeig
erhalten. Behinderte gehören automatisch zu den vulnerablen Gruppen, welche einen
besonderen Gesundheitsschutz durch den Staat erwarten dürfen. Sie brauchen sofortige
Zusicherung von inflationären Ausgleichen, leichteren Zugang zu Sozialleistungen und eine
prädestinierte Berücksichtigung bei der Bekämpfung der Epidemie mit all ihren Folgen“, so
der ABiD.