Allgemeiner Behindertenverband: Reform der Erwerbsminderungsrente geht nicht weit genug
„Selbstständige und junge Menschen mit Handicap sind weiterhin auf das Sozialamt angewiesen!“
Die von der „Ampel“-Regierung angestrebte Reform der Erwerbsminderungsrente geht nicht weit genug. Diese Ansicht vertritt der Allgemeine Behindertenverband in Deutschland e.V. und erklärt durch seinen Sozialberater: „Mit der alleinigen Anhebung der Rentenhöhe und einer sehr begrenzten Ausweitung des Berechtigtenkreises ist man den Anforderungen der Gegenwart nicht gerecht geworden“, so Dennis Riehle. Insbesondere für Menschen mit einem Handicap, die im Laufe ihres Lebens durch ihre Beeinträchtigung aus dem Beruf ausscheiden müssen, wurde zu wenig getan: „Zur Förderung der Selbstbestimmung von chronisch kranken Personen gehört es auch, deren Leistung außerhalb geschützter Einrichtungen wie der Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) stärker anzuerkennen und zu würdigen. Derzeit setzt das Gemeinwesen falsche Prioritäten, weil Beschäftigte in WfbM im Sozial-, Renten- und Arbeitsrecht einseitig bessergestellt werden“.
Laut Riehle fallen dagegen Selbstständige mit einer Behinderung in die Sozialhilfe, wenn Berufsunfähigkeit eintritt – denn freiwillige Beiträge berechtigen noch immer nicht zum Bezug einer gesetzlichen Erwerbsminderungsrente. Wird also ein behinderter oder chronisch kranker Mensch außerstande, weiterhin mindestens drei Stunden täglich im allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein, hängt seine Absicherung wesentlich davon ab, ob er in einem Arbeitnehmer-Verhältnis beziehungsweise in einer Beschäftigung in der WfbM stand – oder ob er eigenbestimmt und innovativ Eigenunternehmer war. „Das widerspricht dem Grundsatz, wonach wir behinderte Menschen zu unabhängigen, selbstverantwortlichen Wesen machen wollen, die mit Intelligenz, Kreativität und eigenen Ideen einen Beitrag zur ökonomischen Vielfalt als Freiberufler geleistet haben“, so Riehle. Gleiches gelte für Personen, die bereits vor Ende der Ausbildung oder ohne Berufsjahre erkranken und erwerbsgemindert sind, denn sie haben ebenfalls keine Chance, die erforderlichen Pflichtbeiträge in die Rentenversicherung einzuzahlen. Somit sind beispielsweise von Geburt an Behinderte, die es nicht in einen sozialversicherungspflichtigen Job schaffen, umgehend auf das „Amt“ angewiesen, auch wenn sie anderweitig arbeiten.
Derzeitige und von der Koalition beabsichtigte Neuregelungen zementierten die bisherige Praxis, wonach bevormundete Menschen mit Handicap am Ende richtigerweise nicht nur besser geschützt, sondern gegenüber behinderten Personen ohne Betreuung bevorteilt werden: „Diese Philosophie widerspricht dem Grundgedanken, beeinträchtigten Personen mehr Souveränität zuzutrauen und sie zu gleichwertigen Mitbürgern zu machen“. Riehle appelliert, Erwerbsgeminderte ohne gesetzlichen Rentenbezug aus der Sozialhilfe zu holen und sie auch bei teilweise eingeschränkter Arbeitsfähigkeit nicht allein dem „Hartz IV“-Bezug zu überlassen: Die momentane Gesetzeslage ist mit dem Ansinnen der UN-Behindertenrechtskonvention kaum in Einklang zu bringen, weil sie zu stark auf den Aspekt der Bedürftigkeit setzt und behinderte Menschen anhand ihrer Schutzwürdigkeit, statt auf Basis der verbliebenen Ressourcen klassifiziert und im sozialen Status unflexibel in Schubladen einsortiert“, sagt Sozialberater Riehle abschließend.