Gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen!
Berlin (kobinet) Stimmt. Wenn es um unsichtbare Behinderungen geht, gibt es nichts zu sehen. Für viele ist das ein Grund, sich damit auch nicht zu beschäftigen. Dabei sollte genau dies passieren. Bitte gehen Sie nicht einfach mit Nichtbeachtung weiter durch Ihr gesellschaftliches Leben, sondern halten Sie gedanklich einmal inne und fragen Sie sich, was eine unsichtbare Behinderung für Betroffene und auch ihre Angehörigen bedeutet.

Nicht jede Behinderung ist sichtbar.
Foto: Britta Wilkens (KI)
Unsichtbaren Behinderungen liegen die vielfältigsten Erkrankungen und Umstände zugrunde. Eine der vielen Barrieren ist, nicht ernst genommen zu werden. Da Betroffenen ihre Leiden auf den ersten Blick nicht anzusehen sind, werden diese immer wieder unterschätzt.
Wer kann beispielsweise schon sehen, dass eine Person rund um die Uhr Schmerzen hat? Dass sie unter bestimmten Umständen, die für Nicht-Betroffene eine Selbstverständlichkeit sind, eine Panikattacke erleiden kann? Dass Licht, Musik, Geräusche und Gerüche wehtun können? Warum der vermeintlich unhöfliche Mensch im Bus seinen Sitzplatz nicht für jemand anderen freigibt, obwohl er doch fit aussieht? Dass jemand nach einer Veranstaltung oder einem Online-Meeting tagelang braucht, um wieder Kraft zu sammeln? Dass jemand nicht die Kraft hat, das Haus zu verlassen und eine Besorgung zu machen? Oder gar einen körperlichen Zusammenbruch durch den Kontakt mit Stoffen haben kann, die für andere scheinbar harmlos sind? Dass viele unsichtbar behinderte Menschen wegen der vielen Barrieren in Isolation leben müssen? Dass sie tagtäglich enorme Kraft aufbringen müssen, um unter diesen Umständen zu leben? Mit welchen Ängsten das alles verbunden sein kann? Was ihnen immerzu von ihren Mitmenschen und sogar Ärzten – wenn auch oftmals unbewusst – zugemutet wird? Wie sich unsichtbar behinderte Menschen ganz ohne geschützten Raum mit und in ihrer Umwelt fühlen?
Dies ist nur eine Auswahl an Beispielen, es gibt noch unzählige mehr
„So schlimm wird es ja wohl nicht sein“ oder „Stell dich doch nicht so an“ sind – neben vielen nonverbalen Äußerungen von Unverständnis – Bemerkungen, die schon viele Betroffene gehört haben. Und dann ist da noch die Stigmatisierung. Das führt häufig dazu, dass unsichtbar behinderte Menschen zu viel Kraft dafür aufwenden, sich anzupassen und nicht „unangenehm“ aufzufallen. Aus Angst vor Ablehnung und Unverständnis. Aus dem Gefühl heraus, sonst nicht in diese Welt zu passen.
Daher ist es immer wieder wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass Betroffene gesehen werden müssen. Dass auch unsichtbare Barrieren, wo und wie immer es auch geht, abgebaut werden. Trotz und vielleicht auch gerade wegen der Schwierigkeit, sich in die Lage von Betroffenen hineinzuversetzen. Bewusstsein, Akzeptanz und Bereitschaft wären schon ein erster großer Schritt in die richtige Richtung. Und zudem kostenlos und schmerzfrei für alle.
Damit Betroffene zusätzlich zu ihren Einschränkungen nicht noch behindert werden.
Ein Artikel von Britta Wilkens, organisiert im Allgemeinen Behindertenverband in Deutschland (ABiD) in der Arbeitsgruppe Gesundheit und Soziales