„Es ist hier in der Frauenarzt Praxis sehr wichtig, dass ich mich mit dem Rollstuhl frei bewegen und auch auf Toilette gehen kann. Ich finde das sehr gut hier“, sagt Lolita Graubner MDR SACHSEN-ANHALT. Die Praxis befindet sich im Dachgeschoss, in dem 1992 gebauten Ärztehaus gibt es einen Fahrstuhl. Hier ist es nichts Besonderes, Rollstuhlfahrerinnen oder gehbehinderte Frauen zu behandeln. Jede Woche komme mindestens eine Frau mit Rollstuhl, erzählt eine Schwester, ob nun aus dem Pflegeheim oder auch ganz junge Patientinnen, wie ihre Nichte mit Elektro-Rollstuhl. Die Türen sind breiter als üblich, Schwellen gibt es nicht.
Frauenärztin Anja Genz hat sich den Umgang mit den körperlich beeinträchtigten Frauen selbst angeeignet, in ihrem Studium war das kaum Thema. Seit 2010 ist sie hier Ärztin und sagt: „Es ist wichtig, dass man mit den Patienten kommuniziert. Der eine möchte Hilfe, der andere nicht.“ Und wer nicht auf den Untersuchungsstuhl gehoben werden könne, der werde auf der Liege direkt daneben untersucht. Auch Frauen, die sich nicht artikulieren können, sind hier Patientinnen. „Schmerzäußerungen können sie schon. Und alles andere bekommt man dann schon raus“, so Anja Genz.
Es ist wichtig, dass man mit den Patienten kommuniziert. Der eine möchte Hilfe, der andere nicht.
Anja Genz Frauenärztin
Die Behandlung von Frauen wie Lolita Graubner laufe ganz normal ab. „Außer, dass es mehr Zeit kostet, ist es keine andere Behandlung. Wir wissen, wo wir helfen müssen, was die Patienten alleine können. Wir brauchen selten Hilfe von Angehörigen oder Transportunternehmen, wir kommen gut zurecht.“ Die Patientinnen seien zufrieden, dass sie ganz normal behandelt werden könnten wie jeder andere Patient ohne Behinderung auch. „Sie danken uns immer, dass das so gut klappt“, sagt die Frauenärztin. Das gilt auch für Lolita Graubner, die sowieso immer freundlich und gut gelaunt ist.
Lolita Graubners Mann arbeitet in der Praxis
Lolita Graubner ist verheiratet und ihr Mann arbeitet zufälligerweise in ihrer Frauenarztpraxis an der Rezeption – und das schon länger, als sie hier Patientin ist. Marcus Graubner ist seit 30 Jahren in der Praxis angestellt. Erst unter seinem Vater, der hier Frauenarzt war, nun unter dessen Nachfolgerin Anja Genz. „Ich habe den 31. März um 10 Uhr“, sagt er ins Telefon und trägt dann langsam den Termin im Computer ein. Die Patientinnen mögen ihn, auch oder gerade weil er etwas langsamer arbeitet als seine Kolleginnen. Das vermittelt Ruhe.
Wie seine Frau lebt Marcus Graubner mit mehreren Beeinträchtigungen. Auch deshalb engagiert er sich für andere und ist Vorsitzender des Allgemeinen Behindertenverbands in Deutschland. Er hat eine Lösung für die mangelnde Barrierefreiheit so vieler Arztpraxen: In der Landesverordnung Sachsen-Anhalt müsste aus seiner Sicht stehen, dass Gebäude barrierefrei zugänglich sein müssen. „Der Empfehlungscharakter muss raus“, sagt er MDR SACHSEN-ANHALT und erklärt, dass es zu viele Ausnahmen gibt. Als Anreiz bei Neubauten oder Sanierung könnte er sich vorstellen, die Barrierefreiheit an die Vergabe von Fördermitteln zu knüpfen. In der barrierefreien Frauenarztpraxis arbeitet er gern, und wenn seine Frau vorbeischaut, gleich noch ein bisschen lieber.
Komplette Barrierefreiheit nie möglich
Einig sind sich hier alle: Barrierefreiheit kann es eigentlich nie geben, lediglich Barrierearmut. Zu unterschiedlich sind die Bedürfnisse von Menschen, die nicht laufen können, nicht sehen können, nicht hören können, sehr groß oder sehr klein oder psychisch beeinträchtigt sind. Aber wenn auf Barrierearmut geachtet wird – also darauf, dass wirklich jeder Mensch ohne Hilfe so viel wie möglich allein erreichen kann – sei schon viel geholfen.